Das erste was mir auffiel als ich aus dem Flughafen in
Phnom Penh ging war der Gestank. Eine Wand aus heißer Luft, Feuchtigkeit
und Abgasen überwältigte mich und die anderen Freiwilligen während wir
mit gespannten Augen die ersten Eindrücke des Landes einfingen, in
welchem wir nun ein Jahr leben sollten.
In einem alten Mercedes-Van ging es daraufhin weiter zum
Einführungsseminar, welches uns den Einstieg in das neue Land
erleichtern sollte. In den nächsten drei Tagen versuchte uns Nico, der
Leiter des Seminares, Kambodscha näher zu bringen. Dabei führte er uns
besonders die zweischneidigkeit Phnom Penhs, der "Stadt in der alles
geht", vor Augen. Auf die Besichtigung einer neuen, riesigen westlichen
Shoppingmall folgte eine Stadttour bei der man vorallem die Armut und
Missstände der Stadt zu spüren bekam. Auch besichtigten wir das alte
Folter- und Hinrichtungslager "S21" der roten Khmer, dessen Atmosphäre
stark an ein deutsches KZ erinnerte. Mit jedem Schritt in diesem fremden
Land immer klarer, dass hier die Dinge anders laufen.
Das Seminar wurde mit einer wunderschönen Botsfahrt über den Mekong
abgeschlossen, danach überliß uns Nico unserem einengen Schicksal.
Meine Projektpartnerin Jana und ich machten uns daraufhin auf die Suche nach unserem Haus. Als wir es dann zum ersten Mal in Wirklichkeit sahen
stellten wir glücklich fest, dass es einen noch schöneren Eindruck
machte als im Internet beschrieben. Auf drei Etagen kommt ein
Wohnzimmer, eine Küche, zwei Bäder und Schlafzimmer und als Highlight
eine Dachterrasse. Das Haus liegt zwar etwas Abseits vom Stadtzentrum,
dennoch können wir mit dem Moto unsere Arbeitsstelle binnen 20 Minuten
erreichen. Ebenfalls ist es schön, dass wir fast ausschließlich nur von
Einheimischen umgeben sind, was uns einen besonders tiefen und schönen
Einblick in die Kultur bietet. Zwar liegt unser Haus am “Black River”,
leider mussten wir jedoch feststellen, dass die Namensgebung auf den
Müll und die Fäkalien die im Fluss herum schwimmen zurückzuführen ist. So legt sich oft ein beißender Gestank um unser Haus.
Auf die Ersten Nächte im Haus folge der erste Arbeitstag. Nach einer
netten Einführung von unserem Chef wurden uns die Klassen zugeteilt.
Jeder bekam 4 Klassen pro Tag, zwei am Vormittag, zwei am Nachmittag.
Pro Klasse anderthalb Stunden Unterricht, wie dazwischen 2 Stunden
Mittagspause. In jeder Klasse sind zwischen fünf und fünfzehn Schüler,
die zwischen 5 und achtzehn Jahre alt sind. Darauf folgte der Sprung in
das kalte Wasser. Zum ersten mal seit meiner Ankunft Begriff ich, dass
ich nun einer wirklichen Arbeit und Verantwortung nachgehen musste, und
das für ein Jahr. Zu Beginn stand ich oft vor Schülern und wusste nicht
wirklich was ich nun tun sollte.
Die ersten Wochen fühlten sich sehr intensiv an, da es uns nicht nur
schwer fiel den Unterricht vorzubereiten und nun ein Lehrer zu sein,
sondern wir uns auch in einer komplett neuen Kultur zurecht finden
mussten. Es blieb anfangs nur wenig Freizeit übrig, da wir neben dem
normalen Unterricht die restliche Zeit meist damit verbrachten neue
Unterrichtsstunden zu gestallten, einzukaufen, zu kochen und zu Putzen.
Was es bedeuten auf eigenen Beinen zu stehen, wie den Arbeitsaufwand als
freiwilliger hatte ich eindeutig unterschätzt.
Einen Monat später normalisieren die Dinge sich. Man beginnt sich
zurecht zu finden, sich zu streiten, Probleme selbst lösen zu können,
neue Namen und Wörter zu erlernen, zu wissen was ist wo für wie viel
gibt. Der anfängliche Stress der Arbeit legt sich langsam, auf einmal findet man wieder zeit für sich und fängt an zu begreifen.
Auch das Haus erweckt langsam zum Leben. Dies liegt noch nur an uns, die
sich beginnen einzurichten, sondern auch an einer Vielzahl von Tieren
die beginnt das Haus mit uns zu bevölkern.
Auch die Mahlzeiten beginnen sich zu wiederholen, ab und zu gehen wir
auf dem Russischen Markt essen, dieser ist knapp 5 min mit unserem Moto
entfernt. Man sagt hier bekommt man alles, und dies scheint wirklich so.
Ob Elektronik, Kleidung, Essen, Schuhe, Motoren, Gewürze oder
Medikamente es gibt immer einen Stand der das hat was man sucht. Läuft
man über den Markt packt einen der Geruch von Abgasen und einen
beißenden Duft von Fleisch und Fisch gepaart von lieblich riechen
Früchten und Gewürzen die man noch nie gesehen hat. In den engen Gassen
ein gewusel von Einheimischen, Touristen, invaliden Bettlern und
Verkäufern. Man lächelt sich an.
Auf dem Rückweg springt eine der wenigen Ampeln die es hier gibt auf
Rot, ich halte an. Plötzlich werde ich von einem schrillen hupen
erschreckt, es ist die Polizei welche mir verständlich macht über die
Rote Ampel zu fahren um den Verkehr nicht aufzuhalten. Es geht weiter
gerade aus, der Motor dreht hoch. Vorbei an der vierköpfigen Familie auf
einem Moto, vorbei an dem Völlig überladenen LKW dessen Rußpartikel so
groß sind, dass man sie sich aus den Augen reiben muss und vorbei an dem
riesigen SUV in welchem anscheinend eine wichtige Person sitzt. Dann
bei dem "wenden Verboten" Schild wenden, kurz auf die Falschfahrer
achten, um darauf bei dem "Rechts abbiegen verboten” Schild rechts
abzubiegen. Die Straße wird wieder holprig, die Dämpfer geraten an ihre
Grenzen. Manchmal scheint es so als würden die Schlaglöcher von Tag zu
Tag größer.
Das Pchum Ben Fest, eine Buddhistische Tradition zu Ehren
der Ahnen, war in vollem Gange und bescherte uns eine Woche Urlaub.
Einige befreundete Freiwillige und ich beschlossen diese Gelegenheit für
den ersten Urlaub zu nutzen. Die Reise sollte zunächst nach
Shianoukville gehen um von dort nach einigen Tagen Aufenthalt die Insel
Corong zu besuchen. Nachdem wir mit einem gewohnt langsamen und und
unpünktlichen TukTuk einen ungewohnt pünktlichen Reisebus noch in
letzter Minute erreichten ging es los.
Obwohl wir von Freunden gewarnt wurden, dass Shianoukville sehr
"Thailändisch" sei, war ich bei der Ankunft von der Stadt geschockt.
Begrüßt wurden wir von einem Überangebot an TukTuk Fahrern welche nicht
nur eine Fahrt, sondern auch offensichtlich Drogen verkaufen wollten.
Dazu kamen an jeder Ecke dreckige westliche Restaurants an denen es zwar
reichlich Burger und Pizza gab aber nur selten die einheimische Küche
vertreten war. Besonders ins Auge stach bei dieser vom Tourismus zerfressenden Stadt, dass außerordentlich viele alte, reiche und dicke
Menschen, welche weiß waren, mit sehr jungen hübschen Kambodschanerinnen
zu sehen waren. Selten habe ich mich so geschämt.
Um uns den Aufenthalt in Shianoukville dennoch so angenehm wie möglich
zu gestalten flüchteten wir aus der Stadt in den Ream Nationalpark. Mit
einem Ranger fuhren wir in einem kleinen Bot durch ein fein verzweigtes
Flusssystem und liefen durch den Jungel. Besonders tückisch dabei waren
die Tiere, wie zum Beispiel große Spinnen welche ihre riesigen Netze
genau auf Kopfhöhe über den Weg spannten. Lustigerweise lief eine
unaufmerksame Teilnehmerin mit ihrem Gesicht in ein genau solches Netz,
was bei ihr einen kleinen Schock auslöste.
Nach drei Tagen Aufenthalt in Shianoukville ging es
daraufhin weiter zu Insel Corong. Bereits die Anfahrt mit der Fähre war
atemberaubend. Als wir an einer kleinen Inselgruppe vorbeifahren
Beschloss in ferner Zukunft dort einmal zu leben.
Die Insel lässt sich als Gegenstück zu Shianoukville beschreiben. Die
Drogen, der Dreck und der Sextourismus der Stadt wurden durch
wunderschöne Strände mit Wasser, welches nachts zu leuchten beginnt
ersetzt. Ein kleines, schläfriges Fischerdorf mit einer Hand voll
herzlicher Einheimischen und einzigartigen Gaststätten stellt das
Zentrum der Insel dar. Besonders gerne genoss ich die Aussicht vor
unserem Gasthaus auf den Sonnenuntergang um daraufhin eine köstliche
Nudelsuppe zu verspeisen.
Dennoch, nach drei Tagen sollte der Zauber der Insel vorübergehen und wurde durch die Rückkehr nach Phnom Penh ersetzt.
Wieder zurück in Phnom Penh haben sich die Dinge kaum
verändert. Man schläft wieder im gleichen Bett und isst die gewohnten
Mahlzeiten, wacht pünktlich auf und fährt zur Arbeit. Es hat sehr viel
geregnet, sodass das Fußballfeld in unserem Projekt überschwemmt ist.
Die Kinder nutzen das Feld nun als eine Art Swimmingpool. Einige Kinder
schaffen es sogar Fische im Wasser zu fangen, welche sie anschließend
braten und essen. Der Strom im Klassenzimmer ist ausgefallen und
aufgrund der hohen feuchtigkeit haben sich die Mücken explosionsartig
vermehrt.
Die juckenden Mückenstiche stören mich nicht mehr, viel eher
fürchte ich mich vor den Krankheiten die von den Insekten übertragen
werden Können. So sind bereits drei Freiwillige an dem Dengue Fieber
erkrankt. Der Virale Infekt, wird in Deutschland aufgrund seiner
qualvollen Symptome als “Knochenbrecherfieber” bezeichnet. Dies ist
jedoch in Anbetracht der Tatsache, dass man bei einer Zweitinfektion mit
einer Wahrscheinlichkeit von 3% sterben kann, wohl eher das kleiner
Übel. Doch es lauern weiter Gefahren hinter jeder Ecke. Bei dem Versuch
mit 50 Km/h einen Hund auszuweichen sind unglücklicherweise zwei sehr
gut befreundete Freiwillige schwer mit dem Moto verunglückt. Dabei brach
sich die Fahrerin das Schlüsselbein und befindet sich deshalb zum
jetzigen Zeitpunkt wieder in Deutschland.
In Anbetracht dieser Ereignisse kann ich mich glücklich schätzen bis
jetzt mit einer Lebensmittelvergiftung wie ein paar kleinen Fastunfällen
im Verkehr glimpflich davon gekommen zu sein.
Manchmal sehne ich mich nach Deutschland. Mit jedem
deutschem Auto, welches ich sehe, mit jedem deutschem Bier, das ich
trinke, und mit jeder deutschen Person mit der ich rede fühle ich mir
der Heimat ein Stück näher. Hier spüre ich erstmals was es bedeutet in
Deutschland aufgewachsen zu sein und kann zum ersten nachvollziehen was
die Welt unter den “typischen deutschen Werten” versteht. Doch auch
wenn hier die Dinge anders laufen, auf eine für mich unbegreifbare Weise
funktioniert trotzdem vieles.
Es gibt nur wenige regeln von denen kaum welche befolgt werden. Dies in
Verbindung mit der Unabhängigkeit und Selbständigkeit führt dazu, dass
ich ein Gefühl der Freiheit verspüre, wie ich es noch nie getan habe.
Ich bin erstmals in der Lage das Leben so zu Leben wie es mir vorstelle,
mit allen Vorteilen, Nachteilen und Gefahren. Das ist etwas neues was
ich vorher noch nie gefühlt habe und ich fürchte, dass ich dies auch nie
so intensiv in Deutschland fühlen werde.